PORTRÄT UND INTERVIEW

Im Gespräch mit... Markus Penell
O&O Baukunst

Foto: Stefan Müller

Im Gespräch mit ... Markus Penell

  • Text: Brita Köhler
  • Fotos: Tim Formella, Jasmin Schuller

O&O Baukunst realisiert(e) gleich mehrere Bauten im neu erschlossenen Areal im Frankfurter Osten. Über den Umgang mit den besonderen Herausforderungen des industriell geprägten Umfelds spricht der zuständige Büropartner Markus Penell.

Brita Köhler und Markus Penell erproben die Loggien des langen Wohnriegels. Das Haus ist bereits seit 2019 bewohnt.

Brita Köhler: Sie planen bereits das vierte Gebäude im Schwedler Carré und erarbeiteten für den Wohnungsbau gemeinsam mit zwei weiteren Büros auch den zugrunde liegenden Städtebau. Ist das eine ganz besondere Chance und Herausforderung?

Markus Penell: Wir beschäftigen uns seit zwanzig Jahren mit dem Schwedler-Carré. Es ist interessant zu sehen, was ein Masterplan können muss, der im Laufe der Jahre unterschiedliche Marktsituationen durchlebt. Die große Freiheit in der Peripherie hat es ermöglicht, sich der Gegenwart zuzuwenden und nicht einer Fiktion. Begonnen hat es in einer Zeit, als das Umfeld noch ruppig und industriell geprägt war. Künstler und Gewerbebetreibende bildeten die Vorhut. Im Zuge der Quartiersbildung entstanden unterschiedliche Ringe zu unterschiedlichen Zeiten. Mit dem Bau eines Supermarktes begann die Ansiedlung von Gewerbe, in dieser Zeit entstand auch unser Bürogebäude „Starcom“. Unsere beiden Bauten im umbenannten Schwedler-Carré erlebten bereits die Umnutzung zum Wohnquartier.

Autorin und Architekt in der Gref-Völsing-Straße. Der Straßenname ist der gleichnamigen Frankfurter Delikatesse, einer gebrühten Rindswurst, gewidmet.

Was passiert dann mit dem öffentlichen Raum und den Adressen?

Wünschenswert wäre ein Szenario mit öffentlichen Angeboten im Erdgeschoss gewesen, aber es sollte ein reines Wohnquartier entstehen. Es war uns möglich, in Quartiersabschnitten, ohne diese öffentlichen Angebote einen städtischen Raum zu generieren, der sichtbar keine Defizite erkennen lässt. Und das ist ein interessanter Effekt. So etwas ist nur möglich mit einem Bauherrn, der ein Qualitätsinteresse mitbringt.

Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Büros?

Bei den Wohnhäusern im Schwedler- Carré ging es auch um die Frage, wie man die Gebäude untereinander aufteilt. Aber zentral war die Diskussion, worin die Qualität und Identität des Quartiers steckt und wie sich Adressen bilden lassen. Die Qualität wohnt doch eigentlich mittendrin, nicht an einer Schauseite oder einem „Vorne“. Folglich wollten wir die Qualität genau dort schaffen, wo die schwierigste Situation ist – nämlich hinten an der Bahntrasse. Das war für uns alle eine wichtige Glaubwürdigkeitsfrage für die ganze Entwicklung. Die vielen konstruktiven Gespräche mit den Kollegen Karl Dudler und Stefan Forster und dem Bauherrn Max Baum waren für mich das wichtigste Merkmal in der Zusammenarbeit.

In der Parallelstraße zum langen Wohnriegel befindet sich das dazugehörige und gleichzeitig entstandene Wohnhaus von O&O.

Der Wohnriegel steht direkt an der Bahntrasse, nachts rangiert hier der Güterverkehr. Wie schafft man, Wohnbebauung und Lärmbelastung miteinander zu versöhnen?

Es ist ein vielbeiniger Spagat. Neben dem Schall gibt es auch das Thema Hochgarage, um dem Wall der Bahnanlagen etwas entgegen zu stellen. Und auch noch das Thema der städtebaulichen Dichte sowie weitere Restriktionen. Aus diesen Einschränkungen heraus ergibt sich aber etwas, was das Projekt und die Architektur charakteristisch macht. Der Charakter eines Gebäudes lebt nicht davon, dass es alles kann und auf das Schönste funkelt, sondern, dass es auch Widersprüche offenlegt und „sympathisch rumpelt“.

Die Fassade zur Bahn hin ist kaum einsehbar und gestalterisch anders behandelt. Sie haben vorne den Ziegel eingesetzt, hinten ein Wärmedämm-Verbundsystem. Auch ein Widerspruch?

Nicht ganz richtig. Wir haben eine Verantwortung dem öffentlichen Raum gegenüber. Die Ziegelschale, die sich um das Gebäude wickelt, schafft es in ihrer Robustheit, Verfeinerung und Pracht, dem öffentlichen Raum Aufenthaltsqualität zu verleihen. Hinter den vorgestellten Loggien verläuft das Gebäude in mehreren Abschnitten, die teils den Blick auf Betonfertigteilbalkone oder die dahinter liegende geputzte Fassade freigeben. Es ist also nicht ganz so, dass wir eine Vorderseite und eine Rückseite haben. Wir haben eine Ziegelschale zum öffentlichen Raum, dazwischen und dahinter das Wärmedämm-Verbundsystem.

Gibt es heute aufgrund des begrenzten Wohnraums eine höhere Akzeptanz, in solchen Lagen zu wohnen?

Nicht nur in Frankfurt, auch in Regensburg arbeiten wir an Wohnbauprojekten direkt am Bahndamm. Oder in München, an einem Fly-Over – was aber als 1A-Lage wahrgenommen wird. Es ist möglich, solche Lagen umzuinterpretieren und mithilfe der Architektur qualitätvolle Wohnverdichtung zu schaffen. Diese Projekte führen verkehrlich überdimensionierte Raumsequenzen wieder zurück. Wir haben ein eigenes Schallschutzfenster entwickelt, das über den Öffnungsflügel im Brüstungsbereich den Schall fernhält, was große Vorteile hat.

Untergeschoss, Erdgeschoss und erstes Geschoss des langen Wohnriegels fungieren als Parkhaus. Die Öffnungen in der Fassade schirmen das Licht der parkenden Autos ab und geben dem Erscheinungsbild den Rhythmus vor.

Manfred Ortner hat in einem Interview gesagt, dass es für die Modernität und Progressivität beim Material Ziegel keine Grenzen gibt und die Kleinteiligkeit des Materials jegliche Ausformungen zulässt. Ist das lange Gebäude im Schwedler Carré dafür ein Beispiel?

Ziegel hat eine Grobheit, die in sich trotzdem eine Verfeinerung ermöglicht. Die einen wegführt von zu einfachen Typologien. Wenn ich unsere Projekte im Schwedler-Carré betrachte, dann hat „Starcom“ eine Kompaktheit und Geladenheit wie ein Trafogebäude. Die Wohnbauten Schwedler-Carré sind durch ihr Raster und die Loggien eher gut gestellte Kisten. Und das Wohnhochhaus ist wie ein Silo. Also: Trafo, Kiste, Silo. Nicht als Analogie gemeint, sondern als ein subversives Narrativ. Wenn wir hier nicht die Verfeinerung über den Ziegel hätten, wäre es nicht glaubwürdig. Im gesamten Quartier führen wir die Fugen farbgleich zum Stein aus. Die Häuser erhalten dadurch eine Homogenität und Weichheit. Das Kopfgebäude zur Bahn bekommt durch die gerundete Ecke eine Unschärfe und weniger architektonischen Pathos.

Markus Penell en passant der Hochgarage.

Nicht nur im Schwedler-Carré, auch sonst arbeiten Sie viel mit Ziegel. Können Sie über die Jahre eine Entwicklung feststellen und ist es häufig DAS Material Ihrer Wahl?

Das ist durchaus unterschiedlich. Auch der Holzbau ist ein Thema. Den Ziegel wird es aber immer geben und gab es schon immer. Man spürt dem Ziegel seine Archaik und den ungebrochenen Griff in die Tiefen der Geschichte an. Er kann überall hergestellt werden. Er hat eine globale Expertise, die trotzdem lokal und traditionell verwendet wird, dadurch hat er etwas ganz Handwerkliches. Handwerklichkeit in der Architektur geht leider zunehmend verloren. Da aber Konstruktion und Schale heute in der Regel voneinander losgelöst sind, wird es den Ziegel in seiner sinnlichen Motivik auch weiterhin geben, egal welche Konstruktion dahinter liegt. Wir sind dabei zu erforschen, wie man mit Riemchen oder anderen leichteren, vormontierten Elementen weiterkommen kann.

Das Wohnhochhaus am westlichen Ende der Ferdinand-Happ-Straße hat seine endgültige Höhe erreicht.

Der Trend zum Wohnen im Hochhaus nimmt an Fahrt auf. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang Ihren Wohnturm im Schwedler-Carré?

Wohnen in der Großform war lange Zeit nicht populär. In vielen Lagen, wo Wohnen unvorstellbar scheint, bietet das Hochhaus aber über seine Verdichtung eine gute Möglichkeit. Die Folgewirkungen müssen dabei betrachtet werden. Für das Hochhaus am Quartierseingang hätten wir uns eine öffentlichkeitswirksame Nutzung im Erdgeschoss gewünscht. Für den Entwickler und dessen Portfolio ist es wohl schwierig, solch eine Nutzung zu implementieren. Darüber hinaus war das Hochhaus kompliziert in der Projektierung. Nach dem Wettbewerbssieg durch die ARGE SchwedlerTrio musste das Hochhaus viele Male überarbeitet und der B-Plan von Gewerbe- auf Wohnnutzung umgeschrieben werden. Das industrielle Umfeld erlaubt dem Gebäude glücklicherweise eine gewisse Eigenartigkeit. Trotz des Projektwahnsinns entstehen im besten Fall dennoch charakteristische Häuser. Das ist bei diesem Gebäude am Ende gelungen. „Drei Horizonte“ bildet einen Schlussstein, aber durch seine Dimension und Materialität auch einen Wegweiser.

Inwieweit wünschen Sie sich als Architekt Einfluss auf einen guten Wohnungsmix und auf die Frage, ob Miet- oder Eigentumswohnungsbau?

Wir hatten bei diesem Projekt keinen Einfluss, das ist bei anderen Bauten ähnlich. Das Wohnen im Schwedler-Carré war von vornherein auf Mietwohnungsbau ausgerichtet. Das Wohnhochhaus wurde im Zuge der Marktentwicklung und des Übergangs zur Deutschen Wohnen dann letztendlich doch als Mietwohnungsbau umgesetzt. Ich bin froh, dass die Wohnungen vermietet werden, denn es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied zu Eigentumswohnungsbau: In Mietwohnungen ist immer jemand zu Hause, da wird gewohnt. Das ist wichtig für die Stadt.

Im Büro von O&O

Bei O&O Baukunst liegen Kunst und Architektur nahe beieinander, ihre Bauten zeugen von skulpturaler Kraft und stehen für die Erneuerung des historischen europäischen Erbes.

Das Brüderpaar Laurids und Manfred Ortner war in den 1960er und 1970er Jahren als Teil der Künstlergruppe Haus-Rucker-Co bekannt für Interventionen, die sich programmatisch zwischen freier Kunst, utopischer Architektur und Stadtgestaltung bewegten. In der aktuellen Ausstellung Art Attack im Neuen Museum Nürnberg wird die Kunst im öffentlichen Raum thematisiert, die 1971 anlässlich dem Symposium Urbanum entstand. Auch Haus-Rucker-Co beteiligte sich mit der Skulptur „Wegweiser“, ein zwölf Meter hoher auf einem Betonsockel errichteter Zeigefinger, der nahe dem Flughafen auf freiem Feld zur Nürnberger Innenstadt wies und unter der Bevölkerung auf Unverständnis stieß. Nach mehrmaliger Zerstörung wurde die Wiedererrichtung des Fingers 1979 aufgegeben. In einem weitaus größeren Maßstab setzten sie ab 1987 dann als Architekturbüro Ortner & Ortner Baukunst neue, bedeutende Akzente. Bereits kurz nach der Gründung gewann das deutsch-österreichische Büro den Wettbewerb für das neue Museumsquartier Wien mit den drei Bauten Mumok, Kunsthalle Wien und Leopold Museum. Großprojekte wie die Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) in Dresden, das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Duisburg sowie mehrere Projekte für urbanes Wohnen folgten.

Von ihrer Architektur sprechen sie gerne als „Baukunst vom Tag“, von Bauten, die sich im Alltag zeigen und bewähren müssen. Naturstein und Ziegel prägen viele ihrer monolithischen Erzeugnisse. Seit zehn Jahren leiten die Architekten Roland Duda, Christian Heuchel, Florian Matzker und Markus Penell gemeinsam mit den Bürogründern O&O. Rund siebzig Mitarbeiter an den drei Standorten in Berlin, Köln und Wien zählt das Büro zurzeit. 2020 erhält O&O Baukunst gleich zwei Architekturpreise in einem Jahr. Laurids und Manfred Ortner wird die höchste Auszeichnung Österreichs für ihr künstlerisch herausragendes Lebenswerk zuteil: der Große Österreichische Staatspreis. „Baukunst von Ortner & Ortner steht für eine Architektur, die – ohne Anbiederung – mit der Stadt, mit der historischen Bausubstanz kommuniziert und auf ideologische Einschreibungen und Umbruchsituationen reagiert. Ortner & Ortner vollziehen das mit zeichenhaften Bauten, großen kompakten Monolithen“, heißt es in der Begründung.

Für die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin erhält das Büro den Deutschen Hochschulpreis. Ein Altbau wurde für die neue Nutzung um zwei Baukörper ergänzt. Charakteristische Elemente sind der holzverkleidete Bühnenturm sowie der prägnante Umgang mit Alt und Neu: in den Innenräumen vollziehen die Architekten eine Trennlinie auf 2,3 Metern Höhe. Oberflächen unterhalb dieser Höhe wurden bearbeitet, die Bauteile darüber bleiben in ihrem Rohzustand 2021 feiert das Museumsquartier Wien sein zwanzigjähriges Bestehen, die „Libelle“ auf dem Dach des Leopold Museums – ein von O&O entworfener, öffentlich zugänglicher Pavillon mit Panoramaterrasse und Elementen der Künstlerinnen Brigitte Kowanz und Eva Schlegel – wird rechtzeitig zum Jubiläum begehbar.

Aktuell arbeitet O&O unter anderem an der Urbanen Mitte am Gleisdreieck in Berlin, zwei neuen Büroquartieren für die Daimler AG in Stuttgart sowie der Masterplanung für die Siemensstadt² in Berlin. Der zurzeit im Bau befindliche Alexander Tower wird mit 150 Metern Berlins höchster Wohnturm. Neben dem 2007 von O&O errichteten Shoppingcenter Alexa entstehen über dreihundert Eigentumswohnungen mit Blick auf die Stadt und dem Alexanderplatz. Das skulpturale Hochhaus besteht aus mehreren Segmenten, die die Maßstäblichkeit der Umgebung aufgreifen und sich versetzt zueinander in die Höhe stapeln. Der Turm soll 2023 bezugsfertig sein.

Am Standort von O&O in Berlin unweit des Kurfürstendamms trifft man im Erdgeschoss auf die vom Büro initiierte Kunstgalerie O&O Depot, die sich zum Straßenraum öffnet. Hier finden Veranstaltungen und Ausstellungen von freien Künstlern statt. Die Galerie setzt fort, was mit Haus-Rucker-Co begann: Das Niemandsland zwischen Kunst und Architektur immer wieder zu durchqueren und konzeptionelle Anregungen für die Bauten mitzubringen. Die Architekten dokumentieren ihr Schaffen und ihre Ideen in Jahresheften, die bereits seit zehn Jahren erscheinen. Doch bei allem Erfolg gehören auch Niederlagen zum Berufsalltag. Den grandios gescheiterten Wettbewerben widmet O&O auf ihrer Website eine eigene Rubrik. Sehr sympathisch.

Architekten

Ortner & Ortner Baukunst

www.ortner-ortner.com/de

Leibnizstraße 60, 10629 Berlin

O&O Baukunst wird geführt von den Architekten Roland Duda, Christian Heuchel, Florian Matzker, Markus Penell gemeinschaftlich mit Laurids Ortner und Manfred Ortner. Die Geschichte von Ortner & Ortner Baukunst reicht zurück bis 1967. Die Gründer Laurids und Manfred Ortner schufen Projekte, die sich programmatisch zwischen den Feldern der Freien Kunst und der Architektur bewegten. Seit Mitte der Achtzigerjahre agierten sie als Architekturbüro und wurden 1990 mit dem Bau eines der größten Kulturzentren Europas, dem Museumsquartier Wien, beauftragt. Die Ansprüche an die gemeinsame Architektur von O&O Baukunst sind mit der Größe der Aufgaben gewachsen. Inhaltlich stehen die Bedingungen einer Europäischen Baukunst im Vordergrund, die das historische Erbe mit den Anforderungen einer Erneuerung in attraktiver Form zu vereinen mag. O&O Baukunst hat zurzeit 70 Mitarbeiter an den drei Standorten Berlin, Köln und Wien.

Projekte (Auswahl)

In Planung SIEMENSSTADT ² BERLIN
2023 Alexander Towers, Berlin
2020 Libelle Museumsquartier, Wien

Weitere Beiträge