Was ist neu?
- Text: Therese Mausbach
- Fotos: Schnepp Renou
Die Neue Nationalgalerie wurde am 22. August eröffnet. Nach fast zehn Jahren Planung, Entkernung und Erneuerung durch David Chipperfield Architects durfte die staatliche Sammlung wieder ihre angestammten Räume beziehen. Die architektonische Instandsetzung ist gelungen und versetzt das Publikum mit viel Liebe zum Detail in die Zeit seiner Entstehung.
Bei der Betrachtung der Kunst des 20. Jahrhunderts ist Mies van der Rohes großes Spätwerk von 1968 nicht wegzudenken. Heute seien die Objekte aber auch vollständig online verfügbar, erklärt der Museumsleiter Joachim Jäger. Bei der Eingabe „Max Ernst“ liefert das Portal jedoch „Max Liebermann“, auf den Versuch, mit dem Werktitel „Capricorn“ fündig zu werden, folgen keine Treffer. Beim digitalen Service scheint wohl noch einiges zu tun zu sein für die Staatlichen Museen zu Berlin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die zum wiederholten Male beauftragten Architekten – nach dem Wiederaufbau des Neuen Museums und dessen Ergänzung um die James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel – erfahren hingegen sehr viel Lob. „Wir waren uns immer bewusst, dass unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht am Sichtbaren, sondern am Unsichtbaren gemessen würden“, erklärt David Chipperfield. Die Herausforderung für das Berliner Büro des Architekten war es, die Nutzung des Stahl-Glas-Tempels zu verbessern, ohne seinen denkmalgeschützten Zustand zu beeinträchtigen.
Die gläserne Fassade der großen Halle hatte unter Glasbruch, Kondensat- Anfall und Korrosion gelitten. Aufgrund äußerer Einflüsse und den damit einhergehenden Verformungen ließen die Profile der die Glasscheiben umrahmenden Stahlpfosten eben jene springen. Kaum wahrnehmbar, ist nun jeder dritte Fassadenpfosten ausgewechselt und mit einer innenliegenden Konstruktion versehen, die die Dehnungen elastisch aufnimmt und so die Spannungen nicht mehr auf das Glas überträgt. Die alte Einfachverglasung ist von einem Verbundsicherheitsglas im Floatglasverfahren mit dazwischenliegend geschweißter Schutzfolie abgelöst. Trotz einer mehr als doppelt so dicken Stärke von jetzt 27 Millimetern wirken die in China produzierten Scheiben in Übergröße durchsichtiger denn je.
Das mächtige Stahldach mit seinen acht freistehenden Stützen erhebt sich über eine weite graue Granitfläche. Die 14.000 Boden- und Fassadenplatten des Sockels wurden abgenommen, restauratorisch behandelt oder, wo nötig, ausgetauscht und an ihre ursprünglichen Positionen, jedoch in neuer Bettung verlegt. Jene Granitplatten, die ersetzt werden mussten, stammen aus demselben Steinbruch im polnischen Strzegom. Auf der steinernen Terrasse ließen sich wieder Skulpturen nieder, auch Alexander Calders „Têtes et Queue“ ist zurück an seinem Platz und galt bereits zur Eröffnung des Hauses 1968 als beliebtes Fotomotiv.
Neben den schweren Stahlplastiken des amerikanischen Bildhauers spielen auch dessen bewegliche Werke eine maßgebliche Rolle, denn zur Wiedereröffnung füllen zahlreiche seiner Exponate in einer Retrospektive die universelle Leere der großen Tempelhalle. Experimentierfreudig überträgt Calder Farbe, Form, Maßstab und Bewegung in die Dreidimensionalität. Mobiles hängen von der Decke, schwere Stabiles werfen Schatten und feingliederige Miniaturen schwingen hin und her, die Sonderausstellung lässt in ihrer Fülle kaum Raum, um die Wirkung Mies van der Rohes monumentaler Architektur zu entfalten.
Mit der umfangreichen Grundinstandsetzung entwickelten David Chipperfield Architects auch eine barrierefreie Nutzbarkeit des Gebäudes. Auf der Seite des Landwehrkanals ist ein rollstuhlgerechter Weg ergänzt worden. Speziell bearbeitete Bodenplatten fungieren als Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderung. Ein Personenfahrstuhl besetzt den einstigen Putzraum in einem der beiden Holzeinbauten in der großen Halle, der ehemalige, in Mies van der Rohes Originalplänen so bezeichnete „Damen-Ruheraum“ ist für Menschen mit körperlicher Behinderung als Toilette zugänglich.
Bei der Sanierung der Ausstellungs- und Verwaltungsräume nahm das Architekturbüro alle Teile von der Decke bis zum Boden auseinander und setzte sie neu wieder zusammen. Dabei rekonstruierten sie mit dem Bauherrn und der Denkmalpflege präzise das ursprüngliche Erscheinungsbild. Barcelona- Sessel auf Teppichinseln, das Automatencafé oder die Toiletten mit „powder room“ werden wieder erlebbar, neu ergänzte Ticketschalter sind gestalterisch an verschollene Verkaufsstände angelehnt. Im Ausstellungsbereich sind nun alle Elemente vom grauen Teppichboden bis zur leicht veränderbaren Moduldecke, so installiert und gestaltet, wie Mies van der Rohe es sich gewünscht hätte. Nur die Raufasertapete traf bei den Kuratoren auf Widerspruch und fand ausschließlich in den Räumen der Verwaltung Verwendung.
Zwei Räume hat das Büro Chipperfield aber eigenständig entworfen, die mit dem Ausbau und der Verlagerung des Depots im Untergeschoss zur Verfügung standen. Die Architekten schufen einen Buchladen und eine neue zentrale Garderobe. Dabei ließen sie die den Besuchern bisher unbekannte Betonkassettendecke sichtbar, setzten Leuchten der Raumlänge nach in die Kassetten und furnierten die Holzeinbauten im Einklang mit dem Bestand. Pyramidenförmig münden nackte Stahlbetonstützen in die Decke, die die Last des schweren Dachs abtragen. Das Museumsteam will verstärkt Diversität und Niedrigschwelligkeit fördern. Neben Ausstellungstexten in leicht verständlicher Sprache und einem eintrittsfreien Sonntag im Monat wird im Ausstellungprogramm auf Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern geachtet. Partizipative und kritische Auseinandersetzungen mit der Kunst werden in der Bildungsvermittlung besonders berücksichtigt. Die nächsten zwei Jahre richtet eine Ausstellung im Nordflügel des Sockelgeschosses das Augenmerk nicht nur auf die Kunst. Die Architektur von Mies van der Rohe und die Sanierung durch David Chipperfield, werden in großformatigen Zeitdokumenten in Szene gesetzt. Dazu gehören auch die originalen Deckenplatten aus Pressholz und die marmorierten PVC-Fliesen.
Produktinformation
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Projektreportage 1
Architekten
David Chipperfield Architects
Joachimstraße 11, 10119 Berlin
David Chipperfield Architects (DCA) wurde 1985 in London gegründet. Weitere Standorte folgten in Berlin (1998), Shanghai (2005), und Mailand (2006). Zu den Bauaufgaben zählen Kultur-, Wohn-, Gewerbe- und öffentliche Projekte sowie Masterpläne und Möbel. Die vier Büros verfolgen dieselben architektonischen Ambitionen und fühlen sich in dem gemeinschaftlichen Ansatz des Architekturschaffens verbunden. DCA verwirklichte inzwischen mehr als 100 Bauvorhaben auf der ganzen Welt und erhielt für das Werk ebenso viele internationale Auszeichnungen.
Projekte (Auswahl)
2021 Grundinstandsetzung Neue Nationalgalerie, Berlin
2020 Kunsthaus Zürich
2019 West Bund Museum Shanghai